Etwa 50 000 Menschen sind in der DDR hauptberuflich im Dienst von Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie ihrer Einrichtungen, insbesondere auf dem Felde von Diakonie und Caritas, tatig. Wieviel DDR-Btirger sich selbst als Chri- sten ansehen, eine innere oder zumindest doch traditionell formale Bindung zu ihrer Kirche haben, ist nicht genau festzustellen. Unbestreitbar aber handelt es sich trotz sinkender Mitgliedschaftszahlen, urn eine Minderheit, die allein durch ihre Existenz zum gesellschaftlichen Faktor wird. Die SED hat das von Beginn an erkannt. Neben allen Bemtihungen, der Kirche wo immer moglich das Wasser abzugraben, zeigt sich das Bestreben, im System des "real existierenden Sozialismus" der real "existierenden Kirche" einen Stellen- wert einzuraumen, der den von Ideologie und Glauben her zwangslaufig vorge- gebenen Konflikt begrenzt, j a die Krafte aus Glauben und Kirchenverbunden- heit auch ftir die sozialistische Gesellschaft nutzbar macht. Dem entspricht ein Bemtihen in der Kirche, einen Weg in der sozialistischen Gesellschaft zu finden, der die Sackgasse einer Privatisierung der Religion vermeidet, also tiber die bloBe Negation hinausftihrt zu Moglichkeiten eigenstandiger verantwortlicher Mitar- beit fUr das Wohl der Menschen. Die Gratwanderung der Kirche zwischen den Abgriinden der Opposition und des Opportunismus einerseits und die Gratwan- derung der SED zwischen ideologischem Totalanspruch und politischem Rea- lismus andererseits ist ein Thema dieses Buches.