"Ist Lesen historisch?" Keine harmlose Frage. An die Antwort knupfen sich Leitvorstellungen vom Wandel der Kommunikationsmedien. Wie ist eine Mediengeschichte, die literarische Medien einbezieht, kunftig zu denken? Positive wie negative Versionen von Fortschrittsgeschichten uberzeugen kaum noch. Eine exemplarische Alternative ist der Versuch, Lesen als Operation historisch zu beobachten. Entgegen der Tendenz, Lekture zu universalisieren oder den Wandel im Lesen auf auere Bedingungen zuruckzufuhren, begreift die 'innere' Geschichte Lekture als Medium mit eigenen Widerstanden. Das Lesen ist in sich selbst zu unterscheiden. Die 'innere' Geschichte zeigt, wie Lekturetechniken im kulturellen Wandel der Kommunikationsmedien Allianzen eingehen und aufgrund welcher Funktionen sie Vorzug vor anderen Moglichkeiten erhalten. Anhand eingehender Lekture unauffalliger wie einschlagiger Thematisierungen des Lesens von der Antike bis ins 19. Jahrhundert- von Quintilian, Cicero und Augustinus uber Erasmus, Herder und Nietzsche- werden Bausteine zu einer Geschichte des Lesens vorgelegt, die differenzierter beobachten kann als das alte Modell von der lauten Lekture und ihrem Verstummen in der Neuzeit. Eine besondere Rolle spielt J.M. Gesners "Kunst des Lesens" als Koppelung von Lekturegeschwindigkeiten aus dem 18. Jahrhundert, die ihre Herkunft von der Romanlekture nimmt und in der Lesepoetologie C.M. Wielands eine ausgeklugelte literarische Umsetzung unter Buchmarktbedingungen erfahrt.