Die derzeitigen Krisenerfahrungen erinnern uns daran, wie fragil scheinbar stabile demokratische Institutionen sind. Auch dem Grundgesetz war seine Langlebigkeit nicht in die Wiege gelegt, nicht nur, weil es als Provisorium konzipiert war. Sogar Dolf Sternberger, der Schopfer des Begriffs Verfassungspatriotismus, beklagte sich in einem Brief an seine Freundin Hannah Arendt anfangs uber das "schwachliche Bonner Machwerk" und war skeptisch, ob und wie die demokratische Ordnung mit Leben zu fullen sei. Als Aristoteliker wusste er: Die Burgerinnen und Burger machen den Staat aus. Die 1956 erschienenen berlegungen zur "lebenden Verfassung" in statu nascendi werfen Schlaglichter auf die Entwicklungsdynamiken der frhen Bundesrepublik und blenden kritische Aspekte nicht aus. Sternberger hatte diese Schrift, die ursprnglich 1956 im Hain Verlag erschien, nie wieder verffentlicht. Damals war er in Sorge um die Funktionalitt der jungen Demokratie, der er aber nach und nach immer bessere berlebenschancen einrumte. Der Nestor der deutschen Politikwissenschaft demonstriert nicht nur seine ideengeschichtliche Meisterschaft, sondern kombiniert methodisch reflektiert Theorie und Empirie des Parlamentarismus. Die Adenauer-ra muss sich am angelschsischen Vorbild messen lassen. Sternberger vermittelte den Nachkriegsdeutschen die wichtige Rolle der Opposition und die Erkenntnis, dass es demokratische Parteien nur im Plural geben kann. Insgesamt ein erstaunlich aktuelles Werk, das uns auch gegenwrtige Probleme der reprsentativen Demokratie besser verstehen lsst.