Es gibt eine ebenso verbreitete wie zu kritisierende Tradition, Migration stets als Problem zu betrachten - fur die 'abgebenden' wie fur die 'aufnehmenden' Gesellschaften, wie es abstrakt heit. Eine solche Perspektive will vor allem den Blick auf die konkret gemachten Erfahrungen von Aus- und Einwanderung sowie auf Raume und Zeiten 'dazwischen' versperren. Dabei ist Migration auch kulturelle Praxis, Ergebnis zielgerichteten (wenn auch oft verzweifelten) Handelns. Personliche Dokumente der Migrationserfahrung - Briefe, Tagebucher, Fotografien, Zeichnungen, Memoiren - zeugen von grundlegenden Themen des menschlichen Denkens und Handelns, wie der Bedeutung von Heimat und Heimatverlust, dem Uberschreiten von Grenzen, dem Umgang mit materiellen Objekten als Tragern von Erinnerungen und Zukunftshoffnungen, der Erfahrung der Reise in Zugen oder auf Schiffen, den Herausforderungen des Neubeginns. Im Zentrum von Joachim Schlors Essays stehen die Bemuhungen deutscher und osterreichischer Judinnen und Juden, nach der Machtubernahme der Nationalsozialisten 1933 und der Pogromnacht 1938 dem Regime zu entkommen und 'irgendwo auf der Welt' eine neue Heimat zu finden. Dabei geht es weniger um eine Rekonstruktion historischer Ereignisse als darum, personliche und familiare Dokumente im Rahmen der vier Hauptaspekte kulturwissenschaftlicher und ethnografischer Forschung Kultur, Identitat, Alltag, Geschichtlichkeit zu lesen und zu verstehen. Wie sind einzelne Menschen, Familien und Gruppen ausgewandert? Wie hat sich ihr Verhaltnis zu den Orten der Herkunft und den Orten der Zukunft durch die fur die Auswanderung notigen Schritte verandert? Wie haben sie sich selbst, etwa wahrend der Dauer einer Schiffsreise von Cuxhaven nach New York, von Triest nach Jaffa oder von Amsterdam nach Shanghai verandert? Was bedeuteten ihnen die Koffer, in die sie ihre Habseligkeiten packten? Und wie wurden diese Erfahrungen festgehalten nicht nur in Museen und Archiven, sondern im Familiengedachtnis und in den sozialen Medien, die aktuell Archive in einer neuen Form ausbilden?Mit einem Geleitwort von Nicolas Berg.