Strategische Kommunikation zielt mit ihren kontingenten Wirklichkeitsbeschreibungen seit jeher auf gesellschaftliche Wahrheitsmodelle. Wie haufig gesellschaftliche Wahrheitsmodelle auf strategische Kommunikationsbemuhungen zuruckgehen, auf Unwahrhaftigkeit beruhen und damit zumindest zeitweise zu strategischen Wahrheiten werden, zeigen eindrucksvoll zwischenzeitlich geglaubte Wahrheiten, die sich als Luge entpuppt haben: von Walter Ulbrichts Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" uber Hitlers Tagebucher bis hin zu den Massenvernichtungswaffen im Irak. Die erfolgreichen Kampagnen der Brexiteers und von Donald Trump 2016 haben diesem Thema zu neuer und bislang ungeahnter Aufmerksamkeit verholfen. Wahrend die Themen Desinformation und postfaktische Gesellschaft die Journalismus-, politische Kommunikations- und Medienethikforschung aktuell zu dominieren scheinen, ist das Schweigen der deutschsprachigen und internationalen PR- und Organisationskommunikationsforschung auffallig. Dies ist umso bemerkenswerter, weil die PR-Wissenschaft in der Vergangenheit immer wieder versucht hat, ihren Gegenstand zu scharfen, indem sie sich am Begriff der Propaganda abgearbeitet hat. Daraus musste eigentlich eine Affinitat fur das Thema Desinformation resultieren. Aber genau das Gegenteil ist offensichtlich der Fall: Hat sich die PR-Wissenschaft gerade deshalb nicht mit Desinformation beschaftigt, weil sie sich so dezidiert von Propaganda und darin eingeschlossenen desinformierenden und manipulativen Techniken abgrenzen will? Was sind die Grunde hierfur? Glauben wir, bereits alles zum Thema gesagt zu haben? Liegt dies daran, dass sich die PR- und Organisationskommunikationsforschung seit jeher vor allem fur Unternehmen und weniger fur politische und Non-Profit-Organisationen interessiert? Oder fuhlen wir uns hier schlicht und ergreifend nicht zustandig? Es scheint offenkundig hochste Zeit zu sein, sich wieder eingehend mit Fragen der Desinformation aus der Perspektive der strategischen Kommunikationsforschung zu befassen. Die Beitrage des Tagungsbandes fokussieren hierzu auf neue theoretische Perspektiven, normative Bewertungen und empirische Befunde.