In der nordischen Religionsgeschichte nimmt der Gott Balder eine merkwurdig ambige Rolle ein. Keineswegs ist er ausschlielich der strahlende Lichtgott der Snorra Edda, der auf heimtuckische Weise sein Leben verliert und damit den Untergang des ganzen Kosmos einlautet, die danische Uberlieferung kennt ihn vielmehr als den rucksichtslosen, lustgesteuerten, wenn auch im Ende gleichermaen todesverfallenen Heroen. Trotz zahlreicher Interpretationszugange ist es bis heute nicht gelungen, diese widerspruchliche Quellensituation in Einklang zu bringen. Vorliegende Arbeit versucht erstmals die Fragestellung zu wenden und vom Ergebnis her zu uberlegen, in welchem mythischen Denkraum die Polysemien des Baldermythos jenseits narrativer Logiken nachgerade unhintergehbares strukturelles Kennzeichen waren: Es ist die Welt des Kults. Die bewusste Entscheidung fur den transkulturellen religionswissenschaftlichen Vergleich wird dabei ebenso methodologisch thematisiert wie die Moglichkeiten neuerer und neuester kognitionswissenschaftlicher oder sprachtypologischer Zugange. Sie erganzen sich bei der Entschlusselung pralogischer Korpercodes, die bekanntlich kaum Halt machen vor kulturellen wie disziplinaren Grenzen heute wie vor Jahrzehntausenden.