Es gilt als zentraler Bezugspunkt der deutschen Erinnerungskultur, dass Auschwitz sich nicht wiederholen soll. Diese moralische Schlussfolgerung aus dem schwerwiegenden historischen Erbe der NS-Vergangenheit ist in der offiziellen Erinnerungskultur der Bundesrepublik fest verankert. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist jedoch mit groen Spannungen verbunden, die nicht zuletzt auf die Diskrepanz zwischen privater Uberlieferung in der Familie und staatlicher Gedenkkultur zuruckzufuhren sind. Wahrend im Zentrum der offiziellen Erinnerungskultur der Holocaust und Auschwitz im Vordergrund stehen, stehen in dem des Familiengedachtnisses Kriegserfahrungen, eigenes Leid und Opferschaft. Vor diesem Hintergrund wird die Kritik an der etablierten Erinnerungskultur laut, die Empathie gegenuber den Opfern des NS-Regimes und davon ausgehend eine eindeutige Distanzierung von den Tatern vorschreibt, da Distanzierung die offene, kritische Auseinandersetzung mit der Taterschaft erschwert und dadurch die Nachwirkungen ihrer ideologischen Muster bis in die Gegenwart ausgeblendet lasst. Da der Abschied von den Zeitzeugen der NS-Zeit in seine Schlussphase getreten ist, drangen zugleich auch Fragen nach Modi des Erinnerns und nach dem angemessenen Umgang mit der NS-Vergangenheit in das Bewusstsein. Die zunehmende zeitliche Distanz zum Dritten Reich und die damit einhergehend notwendig gewordene Historisierung des Nationalsozialismus werden jedoch von manchen als Chance begriffen, sich mit der belasteten (Familien-)Geschichte auseinanderzusetzen. Innerhalb dieses diskursiven Feldes kommt nun der autobiografischen Familienliteratur der nachgeborenen Generationen, die seit der Jahrtausendwende auf dem deutschen Buchermarkt einen groen Erfolg erzielt, eine besondere Bedeutung zu. Entscheidend an diesen Texten ist die Einsicht, dass sich die Erfahrungen des Nationalsozialismus und die damit immer noch verbundenen Gefuhle der vorangegangenen Generationen und das Schweigen daruber in der Familie auf die Nachkommen selbst auswirken konnen. Die Motivation des autobiografischen Schreibens der Familiengeschichte ist also die Erkenntnis, dass erst durch eine bewusste Auseinandersetzung mit den belastenden Themen und Gefuhlen der vorangegangenen Generation es moglich ist, die Gegenwart und die Zukunft von der Last der Vergangenheit zu befreien. Ziel der vorliegenden Studie ist, die verschiedenen thematischen Aspekte und narrativen Strategien der Auseinandersetzung mit Taterschaft und deren Folgen in der zeitgenossischen autobiografischen Familienliteratur herauszuarbeiten und sie in einen erinnerungsdiskursiven Zusammenhang zu stellen. Zur Untersuchung stehen sechs ausgewahlte Werke, die von deutschen Intellektuellen der Nachkriegsgeneration nach der Jahrtausendwende veroffentlicht wurden und in denen jeweils bestimmte Thematiken und Erzahlweisen in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der NS-Taterschaft dominieren, so dass die unterschiedlichen Bearbeitungen von Familiengeschichten unter ahnlichen Fragestellungen sichtbar werden. Aus der Untersuchung lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Die Starke der Texte liegt in der Angleichung an den familiaren und politisch-kulturellen Diskurs, indem sie durch die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte Glaubwurdigkeit und Authentizitat herstellen. In ihrer sensibel-aufmerksamen Feinfuhligkeit der Auseinandersetzung mit der Schwelle zwischen gelebter Vergangenheit der Familie und einem historischen Blick der nachgeborenen Generation auf die nicht selbst erlebte nationale Geschichte widersetzen sich die Autoren der autobiografischen Familienliteratur einer historisierenden Tendenz, die NS-Vergangenheit in einer vom gegenwartigen sozialen, politischen und lebensweltlichen Erleben und den emotionalen Empfindungen des Einzelnen abgespaltenen Perspektive zu betrachten.